Die Brunft der Rothirsche: Rotwild fotografiert in München

Zu Beginn der Hirschbrunft wird mir immer bewusst, wie schnell wieder ein Jahr vergangen ist. Ich kann mich noch genau an den ersten Schnee dieses Jahres erinnern, denke an die schönen Frühlingstage und Sommeransitze an der Isar, um Eisvögel zu beobachten. Und plötzlich ist er da, der Herbst. Für uns WildtierfotografInnen ist der September wie für andere Silvester. Ein Fest und in unserer Zeitrechnung der Höhepunkt des Jahres. Wie es sich gehört, haben auch wir gute Vorsätze. Dazu zählt im kommenden Jahr das beste Bild aller Zeiten zu schaffen. Das wollen wir, das will ich immer wieder. Der Moment, wo ich auf den Auslöser drücke, das ist wie die Überquerung der Ziellinie. Für dieses Ziel habe ich das ganze Jahr über hingearbeitet und bringe nun all meine Erfahrung ein. Ich schaffe ein Werk, ich drücke nicht einfach nur ab. Ich will etwas schaffen. Etwas, was in Erinnerung bleibt. 

Gleichwohl, das merke ich immer wieder, ist Fotografieren nicht das Wichtigste. Selbst wenn das Foto Lohn meiner Arbeit ist, geht es doch im Großen und Ganzen einzig und allein um die Tiere in ihrem Habitat. Ich bin Gast in deren zu Hause, für wenige Tage im Jahr. Ich darf mich reinschleichen, mich verantwortungsvoll verhalten und muss mir in Erinnerung rufen, was ich über die Tiere gelernt habe. Die besten Fotos entstehen nur, wenn alles passt und ich in Ruhe bin, den Tieren und der Natur Raum gebe. Ich muss für sie unsichtbar sein. Genau das muss im Vordergrund stehen.

Ich muss für das Rotwild unsichtbar sein

Die Momente inmitten von grünem Gras, umringt von Bäumen, muss immer wichtiger sein als der Ausdruck auf Papier. Und doch ist Letzteres auch etwas wie meine Trophäe. Aber nein, das ist nicht der richtige Begriff. Ich hänge keine toten Tiere an die Wand. Denn wenn ich meine Fotos betrachte, leben die Tiere in den Momenten weiter und bei jedem Bild, weiß ich, wo ich stand. Ich weiß, welches Wetter und wie der Geruch des Grases war. Vielleicht, gerade während ich das Bild betrachte, liegt der Hirsch zwischen den Bäumen im hohen Gras und erinnert sich vielleicht ebenfalls an eine besondere Begebenheit. Daran will ich glauben.

Und trotzdem ist ein gelungenes Foto natürlich ein Lohn für die Arbeit der vergangenen Wochen. Ich investiere für alle meine Fotos unglaublich viel Zeit. So viel, wie es mit einem glücklichen Familienleben vereinbar ist. Für mich gehört mittlerweile nach einem gelungenen Morgen im Wald das Frühstück mit meiner Frau und meinem Sohn als festes Ritual dazu.  Wir alle haben irgendwelche Lieblingsorte, die Tiere wie wir Menschen und vor allem Ersteren sollten wir das umso mehr zugesehen.

Ein Grund, warum ich fotografiere, ist auch, um zu dokumentieren. Die Menschen sollen wissen, welch wunderbare Artenvielfalt wir in unserer Umgebung haben und andererseits erfahren, wie fragil alles ist. Ich habe so viele Begegnungen mit Menschen, die sich überhaupt nicht vorstellen konnten, dass so majestätische Tiere wie ein Rothirsch in naher Umgebung leben. Einerseits ist es gut und doch wieder nicht, denn was unsichtbar ist, wird nicht beschützt. Bis zu einem gewissen Grad ist es doch so, nicht wahr?

Dies Jahr gab es einige Momente, die nicht zu fotografieren waren, aber in Erinnerung bleiben. Sie haben sich tief in mir eingebrannt und gesellen sich zu denen der vergangenen Jahre hinzu. Dazu zählt die Erinnerung an den Nebel am Morgen, der früh über den Wiesen liegt. Die aufklarende Dämmerung, die ersten Sonnenstrahlen und das Rufen der Tiere aus allen Himmelsrichtungen. Und mittlerweile, nicht selten, bin auch ich in Gesellschaft unterwegs. Ich bin nicht mehr nur der einsame Fotograf in der Tiefe des Waldes. Ja, das bin ich immer noch gerne. Aber die Fotografie hat mich großartige Menschen kennenlernen lassen und wir teilen Momente, die nie vergessen werden.